Bildungsexperte Florian Müller im Interview
22. September 2017Beim Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) an der PH Vorarlberg führt der an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätige Professor Florian Müller den Vorsitz.
Im VN-Interview äußert er sich zu aktuellen Bildungsthemen.
Um wie viel klüger gehen Sie nach einem solch großen Bildungskongress nach Hause?
Müller: Ich gehe mit vielen positiven Eindrücken. Zum Beispiel jenem, wie lebendig die Bildungsforschung in Österreich ist. Hier treffen sich viele junge, rührige Wissenschaftler mit erfahrenen Kollegen. Es findet ein reger Austausch von Ideen und Informationen statt. Man lernt voneinander.
Was werden die größten Herausforderungen für die Schulentwicklung sein?
Müller: Die größte Herausforderung der Zukunft wird sein, Wege zu finden, um die Gesamtkompetenzen der Schüler zu erhöhen. In Österreich ist der Bildungsertrag mittelmäßig. Und das, obwohl Österreich im OECD-Bereich die zweitgrößten Ausgaben verzeichnet. Ein Problem ist jene große Gruppe, die von Bildung immer mehr abgekoppelt wird – die Risikogruppe. Die hat schlechte Berufsaussichten und schlechte Chancen in der Gesellschaft. Das ist eine unbefriedigende Situation. Diese Gruppe besteht nicht nur aus Migranten.
Gibt es irgendetwas von der traditionellen „guten alten Schule“, das wir auch in der heutigen Zeit beibehalten sollten?
Müller: Es gibt Sachen, die haben sich seit vielen Jahrzehnten bewährt: Dazu gehören Lehrer, die eine Klasse gut führen können, die gut erklären können. Lehrer müssen Kinder mögen, müssen sich für ihre Tätigkeit wirklich interessieren. Das sind Dinge, die sich nie verändern. Und: Die Lehrer müssen gut mit ihrem eigenen Stress umgehen können. Das war auch immer schon so.
Ein Politiker sagte mir unlängst: Schule kann nicht nur Spaß machen. Teilen Sie diese Ansicht?
Müller: Die würde ich teilen. Schule kann nicht immer Spaß machen. Es interessiert sich nicht jeder für alle Dinge. Aber: Je mehr Begeisterung im System ist, desto besser. Es geht dabei nicht darum, dass man die Spaßgesellschaft in die Schule bringt. Es muss Begeisterung und Anstrengung geben. Das kann man koppeln.
Gibt es das allein seligmachende Bildungssystem, das für alle Länder das beste wäre?
Müller: Systeme müssen schon länderspezifisch adaptiert werden. Doch es gibt Systemmerkmale, die in allen Ländern wirksam sind. Dazu gehört etwa Frühförderung und spätere Selektion. Letzteres führt nicht immer zu besserer Leistung, aber es ist gerechter. Ein gutes System braucht auch nicht zwingend mehr Geld. Das Geld muss nur zielgerichtet verwendet werden.
Immer wieder zweifeln Ideologen empirische Forschungsergebnisse in den Bereichen Schule und Bildung an. Wie gehen Sie damit um?
Müller: Da hat die Wissenschaft in Österreich bereits etwas resigniert. Die Bildungsdebatte ist leider extrem ideologisch besetzt. Mein Wunsch an die österreichische Politik wäre es, die Diskussion zu versachlichen, die Ideologie draußen zu lassen – was die Angesprochenen natürlich nicht machen. Die Bildungsentwicklung braucht Zeit, braucht Planung. Das Beispiel Neue Mittelschule hat gezeigt, dass es viel zu schnell gegangen ist. Schnellstens musste diese eingeführt werden. Das System war überfordert. Bildungsplanung braucht Zeit und müsste losgekoppelt sein von einer Legislaturperiode. Diesbezüglich gefällt mir das Vorarlberger Schulmodell. Dafür will man sich einen Rahmen von zehn Jahren geben. Das ist richtig so.
Viele Lehrer gerade in den Pflichtschulen orten eine übertriebene Wissenschaftlichkeit in der Lehrerausbildung. Wie beurteilen Sie diese Kritik?
Müller: Die Kritik kann ich nachvollziehen. Die universitäre Ausbildung ist sehr akademisch, fachbezogen, wenig praxisorientiert. Bei der Lehrerbildung neu gibt es nun ein bisschen mehr davon. Es wird versucht, Theorie und Praxis besser zu verzahnen. Die Lehrerbildung braucht mehr Erfahrung vor Ort. Es wird sich zeigen, ob die neue Ausbildung einen positiven Änderungseffekt erzeugt.
Sie betonen immer wieder die Bedeutung der Eltern für das Schulsystem. Heißt das, dass viele Eltern sich ihren Verpflichtungen entziehen?
Müller: Eltern sind für den Bildungsweg und Bildungserfolg ihrer Kinder sehr bedeutend. Der Staat hat Zugriff auf das Schulsystem und die Lehrerausbildung, aber nicht auf die Eltern. Da kann er nur Unterstützungsangebote anbieten. Natürlich gehören Eltern mehr in die Pflicht genommen. Die Frage ist nur: Wie macht man das? Eine Möglichkeit ist, sie mehr in die Schule einzubinden.
Mehr unter https://www.vn.at/lokal/vorarlberg/2017/09/21/bildungsertrag-ist-mittelmaessig.vn