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Klassenführung

Projekt Klassenführung

Johannes Mayr

Hintergrund und Ziele

Wenn Lehrkräfte ihre Klassen gut führen, schaffen sie eine wichtige Voraussetzung für das fachliche und soziale Lernen der Schüler*innen, zugleich vermindern sie die eigene Berufsbelastung und steigern ihre Berufszufriedenheit. Die Klassenführung stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar – nicht nur für angehende und berufseinsteigende, sondern auch für erfahrene Lehrpersonen.

Vor diesem Hintergrund begann Mitte der 1980er-Jahre eine Gruppe Linzer Lehrerbildner –Johannes Mayr (nunmehr Universität Klagenfurt), Ferdinand Eder (nunmehr Universität Salzburg) und Walter Fartacek – eine systematische, bis heute andauernde Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Seit einigen Jahren wirken auch Georg Krammer (Universität Linz), Gerlinde Lenske (Universität Lüneburg), Barbara Pflanzl (PH Steiermark) und Elisabeth Seethaler (PH Salzburg) im Projekt mit; teilweise bearbeiten sie zusätzlich in eigenen Projekten spezielle Teilaspekte des Themas.

Die Zielstellung des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens besteht darin, Lehramtsstudierenden und Lehrkräften Hilfestellungen für eine erfolgreiche Klassenführung anzubieten bzw. Lehrerbildner*innen praktikable, wissenschaftsbasierte Konzepte und Materialien für Aus- und Fortbildungsveranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Im Zuge dieser Bemühungen entstand das „Linzer Konzept der Klassenführung“ (LKK; Lenske & Mayr, 2015a) und als wichtigstes Material zu dessen Umsetzung der „Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung“ (LDK; https://ldk.aau.at).

Empirische Untersuchungen

In einem ersten Projektabschnitt wurden Führungsstrategien ausfindig gemacht, die geeignet sein könnten, die Mitarbeit der Schüler*innen im Unterricht anzuregen, das Ausmaß an Unterrichtsstörungen gering zu halten und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten zu ermöglichen. Bei der Suche nach solchen Strategien wurden zwei Wege beschritten: die Sichtung von Fachliteratur unterschiedlichster Provenienz und die Erhebung des einschlägigen Erfahrungswissens von Lehrer*innen und Schüler*innen durch mündliche und schriftliche Befragungen (zusammenfassend Mayr, 2008a).

In weiteren Projektabschnitten wurden die auf diese Weise gesammelten wissenschaftsbasierten Handlungsempfehlungen bzw. die Ratschläge der Lehrkräfte und Schüler*innen mittels statistischer Verfahren strukturiert (Mayr, Eder & Fartacek, 1987a) und hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit überprüft. Als Forschungspartner*innen fungierten dabei u. a. „erfolgreiche“ Lehrer*innen. Darunter wurden solche verstanden, in deren Unterricht die Schüler*innen intensiv mitarbeiten, relativ wenige problematische Verhaltensweisen zeigen und zur Lehrkraft positiv eingestellt sind.

Die erste Studie wurde an Hauptschulen durchgeführt (Mayr, Eder & Fartacek, 1991). Es folgten Untersuchungen zu Lehrkräften in Abschlussklassen von Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen (Mayr, 2004), Handelsakademien (Mayr, 2006) und Volksschulen (Seethaler, 2012), wobei auch Stichproben aus den anderen deutschsprachigen Ländern (z. B. Schönbächler, 2008) und Lehramtsstudierende (Pflanzl, Krammer & Hecht, 2015) einbezogen wurden. Zusätzlich standen und stehen umfangreiche Datensätze zur Verfügung, die im Zuge der Nutzung der LDK-Website (s. unten) laufend anfallen; diese Daten wurden bisher vor allem für Skalenanalysen verwendet (Krammer, Pflanzl, Lenske & Mayr, 2021).

Die Hauptergebnisse der Studien lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Das Verhalten erfolgreicher Lehrer*innen liegt innerhalb einer gewissen, empirisch bestimmbaren Bandbreite. Bei den meisten Strategien sind im Allgemeinen höhere Ausprägungen erfolgversprechend (z. B. bei der Strategie, den Unterricht interessant zu gestalten), bei anderen zeigen sich dagegen je nach Kriterium differenzierte oder negative Zusammenhänge (z. B. bei der Bestrafung unerwünschten Schülerverhaltens).
  • Erfolgreiche Lehrer*innen bevorzugen häufig – innerhalb der erwähnten Bandbreite – unterschiedliche Kombinationen von Führungsstrategien: Manche tendieren zu Strategien, welche die sozialen Beziehungen fördern, andere zu kontrollierendem Verhalten, wieder andere setzen auf qualitätsvollen Unterricht. Diese Präferenzen korrelieren teilweise mit Persönlichkeitsmerkmalen der Lehrkräfte.
  • Die angewandten Strategien hängen auch von Merkmalen der betreffenden Schulkasse ab – die sozialen Interaktionen entstehen demnach als Ko-Produktion von Lehrkräften und Schüler*innen.
  • Die im LDK erfassten Faktoren des Führungsverhaltens (Beziehung, Kontrolle, Unterricht) lassen sich mittels LDK hinreichend zuverlässig und messinvariant bezüglich Lehrer- und Schülereinschätzung erfassen.

Nutzung der Forschungsergebnisse

Parallel zu den empirischen Untersuchungen wurden Vorschläge erstellt, wie die gewonnen Erkenntnisse durch Lehrkräfte bzw. in der Lehrerbildung genutzt werden können (für eine Übersicht s. Mayr, Lenske, Pflanzl & Seethaler, 2021). Das Grundkonzept sieht vor, dass Praktikant*innen oder Lehrpersonen ihr Führungsverhalten sowie dessen Voraussetzungen (z. B. ihre Berufsmotivation) und möglichen Folgen (z. B. das Lern- und Sozialverhalten der Schüler*innen) mittels des im Projekt entstandenen LDK selbst einschätzen, die Sicht der Schüler*innen dazu einholen und beide Perspektiven mit den empirisch gewonnenen Werten „erfolgreicher Lehrkräfte“ vergleichen. Ausgehend von den dabei sichtbar werdenden Stärken werden Schritte überlegt, wie das eigene Handeln in eventuellen Problembereichen verbessert bzw. an die konkrete Klassensituation angepasst werden kann. Eine Zusammenarbeit mit Kolleg*innen oder die Unterstützung durch Berater*innen oder Lehrerbildner*innen kann diesen Prozess unterstützen (Mayr, Lenske & Pflanzl, 2017). Die für die Durchführung und Auswertung des LDK benötigten Tools stehen auf der LDK-Website (https://ldk.aau.at) kostenlos zur Verfügung.

Bei Studierenden kann – sofern sie nicht ohnehin gerade ein Praktikum absolvieren – ersatzweise das Führungsverhalten von Lehrpersonen aus der eigenen Schulzeit als Ausgangsmaterial für die Auseinandersetzung mit gelingender Klassenführung verwendet werden (Mayr & Pucher, 2019). Ergänzend oder alternativ können auch Informationsinputs kombiniert mit Unterrichtsvideos und/oder Rollenspielen eingesetzt werden, um Wissen über Klassenführung aufzubauen (Projekt LLEKLas; Seethaler, Hecht, Krammer, Lenske & Pflanzl, 2021a). Dafür stehen auf das Linzer Konzept abgestimmte Videos (Projekt CLIPSS; Lenske, Bönte, van Bebber & Leutner, 2022) und Wissenstests (Seethaler, Lenske, Gold & Krammer, i. Vorb.) zur Verfügung. Evaluationen zeigen, dass sich mittels der angeführten Methoden sowohl das Wissen über Klassenführung (Seethaler et al., 2021a) als auch das Führungsverhalten verbessern lässt (Röhl, 2021).

Literatur